Hygiene-Ausstellungen

Lingner fand spätestens 1892, im Zusam­men­hang mit der Ent­wicklung des Odolantiseptikums durch seinen Freund Sei­fert, Zugang zu Fragen der Bak­te­rio­lo­gie und Hygiene. Da­­bei nutzte Lingner das Bedürfnis breiter Bevölkerungs­schich­ten nach “Schutz vor den unsichtbaren Bakterien”. Die Freundschaft zu Seifert war mit großer Wahr­schein­lich­keit der Ausgangspunkt für Lingners spä­te­res Wirken auf dem Gebiet der hygienischen Volks­be­leh­rung. Seifert öffnete ihm das Verständnis zu den maßgebenden Arbeiten Robert Kochs und war als Arzneimittelchemiker in der Lage, Kon­takte zwi­schen Lingner und Ärzten zu vermitteln. In dem von Schloßmann 1897 begründeten Verein Kin­der­po­li­­klinik mit Säuglingsheim in der Johannstadt lernte Lin­gner als Vor­stands­mit­glied Ärzte und Natur­wis­sen­schaft­ler kennen, die ihm bei sei­nen gemeinnützigen Vor­haben unterstützten.

Der 1901 schriftlich niedergelegte “Vorschlag zur Errichtung einer Desinfektionsanstalt” enthält erst­mals Vorstellungen Ling­ners, wonach “eine zielbe­wuss­te hygienische Erziehung der gan­­zen Be­völ­ke­rung mit allen möglichen Mitteln” notwendig sei, da “der grösste Theil der Einwohnerschaft ... keine Ah­nung von der Wichtigkeit und dem Nutzen hy­gie­ni­scher Schutz­maß­nah­men [hat]”. Diese Er­zie­hungsarbeit sah Ling­ner als eine Aufgabe der Des­in­fektionsanstalt an, für die Zukunft dach­te er auch an ein hygienisches Institut für Dresden. Die hy­gienische Belehrung der Bevölkerung sollte nach Ling­­ner auch durch regelmäßige Aufklärungsartikel in den Ta­ges­­zeitungen unterstützt werden, “denn eine hy­gienisch auf­ge­klär­te Bevölkerung kann durch eige­ne Sorgfalt mindestens eben­­­soviel gegen die Wei­ter­ver­breitung ansteckender Krank­he­iten ausrichten, wie die behördlichen Organe mit den schliess­­lich drin­gend nothwendigen Zwangsmassregeln”.

1902 unterbreitete Lingner dem damaligen Ober­bür­ger­mei­ster von Dresden, Beutler, den Vorschlag, das Projekt “Aus­stel­lung einer Muster­desinfek­tions­an­la­ge nebst wissenschaftlichen Prä­paraten” auf der Städ­teausstellung 1903 in Dresden auf­zu­neh­­men. Beutler unterstützte das Vorhaben Lingners nach besten Kräften, hatte jedoch Mühe, die Mit­glie­der der Stadt­verwaltung vom gemeinnützigen In­te­res­se der Ausstellung zu überzeugen. Immerhin war die Prä­sentation des Ling­ner­schen Desinfektionsapparates vor­gesehen, was als eigen­nützi­ge Werbung verstan­den werden konnte. Durch das Betreiben der Desinfektionszentrale er­leb­te Ling­ner tagtäglich die aus Unkenntnis re­sul­tie­ren­de Ablehnung von Des­infektions­maßnahmen. Die­ser Unkenntnis wollte Lingner durch eine Mas­sen­be­leh­rung über Desinfektions­­­­­­­­­maßnahmen und über das We­sen ansteckender Krankheiten in Form einer Aus­­stel­­lung begegnen. Für die Planung der Aus­stel­lung “Volks­krankheiten und ihre Bekämp­fung” nutzte Ling­ner die Villa Ecke Zwickau­er Stra­ße/Eisenstuckstraße und begründete ein Ehren­ko­mitee der Ausstellung. Ein Großteil der Mitglieder (unter anderen Renk, Gärtner, Buschbeck, Schmorl, von Es­­march, Pfeiffer) sind auch an den Vor­be­rei­tun­gen der In­ter­na­tionalen Hygiene-Ausstellung 1911 be­tei­ligt gewesen.

Mit Blick auf die Ausstellung fertigte 1902 die Bakte­rio­lo­gische Abteilung der Lingner-Werke Lehr­tafeln, Moula­gen, und Präparate an. Die wis­senschaftliche Aufsicht dieser Arbeiten übernahm Lud­wig Lange, der Leiter der Bak­te­rio­logischen Ab­tei­lung (aus welcher sich das Sächsische Se­rum­werk ent­wic­kelte). Aus diesen ersten Anfängen der Her­stel­lung von Anschauungsmaterialien entstand letzt­endlich die Lehr­mittelwerkstatt des National Hy­gie­ne-Museums. Damit wird auch ein von Heinz-Egon Klei­ne-Natrop (1917-1985) wie­der­gegebenes Zitat ver­ständlich, wonach “das Sächsische Se­rum­werk und das Deutsche Hygiene Museum eigentlich Zwil­lings­schwe­stern sind”. Unterstützung und Förderung für sei­ne Ausstellung erhielt Lingner auch durch den Deut­schen Ver­ein für Volkshygiene, Umfang und Art sind jedoch unbekannt. Bei Vorbesprechungen zur Ausstellung “Volks­krank­hei­ten und ihre Bekämp­fung” lernte Lingner im Jahre 1903 den Münchner Au­genarzt Dr. Otto Neustätter (1870-1941) kennen, der sich in Zeitschriftenartikeln mit kur­pfu­sche­rischen Vorträgen und falschen Beleh­run­gen auseinan­der­setz­te. Außerdem besaß Neustätter um­fangreiche Sprach­kennt­nis­se und ein großes In­te­res­se für die Geschichte der Medizin, was für die spätere Zusammenarbeit mit Lingner bedeut­sam wer­den sollte. Die in der Ausstellung genutzten darstellerischen Mög­lich­kei­ten von Moulagen lernte Lingner mit gro­ßer Wahrschein­lich­keit erstmals in der Kinder­po­likli­nik mit Säuglingsheim in der Johannstadt kennen. Schloß­mann besaß hier eine eigene Samm­­­­lung, die er zur Ausbildung von Säuglingsschwestern ­nutzte. Die Ausstellung “Volkskrankheiten und ihre Be­­käm­pfung” wurde von Lingner in drei Kapitel - Dar­stel­lung der Krankheitserreger, der Krank­heits­er­schei­nun­gen und der Be­kämp­fungsmittel - untergliedert. Den Ausstellungspavillon entwarf Prof. W. Kreis. Im Mittelpunkt des Pavillons war eine riesige Statue, Herkules, die Hydra bekämpfend, aufgestellt. Zur Ausstellung ge­lang­ten Rein­­­kulturen von Bak­te­rien aus dem Pasteur-Institut Paris, pla­sti­sche Dar­stel­lun­gen der Krankheitserscheinungen durch Wachs­­­ge­bil­de und Spirituspräparate, statistische Tafeln, Di­ph­the­­­rieseren und andere. Die öffentliche Aus­stel­lung mensch­li­cher Or­gane und ihrer krankhaften Ver­änderungen war Anfang des 20. Jahrhunderts un­ge­wöhnlich und daher an­zie­hend, aber auch von ei­ner gewissen Schockwirkung. Um le­bende Bak­terien den Besuchern erstmals sichtbar zu ma­chen, ent­wickelte Ling­ner eine Konstruktion zur ver­ein­fachten Hand­ha­bung der Aus­stel­lungsmikroskope. Be­sondere Beachtung schenk­te Lingner der Anfer­ti­gung statistischer Tafeln, sie wur­­den stark ver­ein­facht und somit auch für Laien lesbar dar­ge­stellt. Ling­ners größte Leistung bei der Gestaltung der Aus­stellung lag da­rin, dass er nicht, wie auf Hygie­ne­aus­stel­lun­gen üblich (so 1883 in Berlin), die Ge­sund­heitstechnik in den Vor­dergrund rückte, sondern tat­sächlich auf die Volkskrank­hei­ten und ihre Be­kämp­­fung einging. In seiner Schrift “Ei­ni­ge Leit­ge­danken zur Son­derausstellung: Volkskrankheiten und ih­­re Bekämpfung” be­zeich­nete Lingner die Aus­stel­lung als “den ersten Versuch zur Or­ganisation ei­nes hygienischen Stadt­mu­se­ums”, da eine wirk­sa­me hy­gienische Volksbelehrung nur durch Einrichtung stän­­di­ger Bildungsstätten erreichbar sei. Die Ausstellung, in vier Wochen von über 220.000 Men­schen be­­sucht, war ein großer Erfolg und wurde noch in Frank­furt am Main (1904), München (1905) und Kiel (1906) ge­zeigt.

Das über­aus große In­teresse der Bevölkerung gab Ling­ner wohl die An­re­gung zur Vorbereitung der Interna­tio­na­len Hygiene-Aus­­stel­­lung 1911. In einem Beschluss der Kreis­haupt­mann­schaft Dresden von 1905, “eine für das Jahr 1908 ge­plante Allgemeine Hygieneausstellung in Dres­den betref­fend”, wird das Vorhaben öf­fentlich be­nannt. Im November 1905 fand bei Oberbürgermeister Beut­ler eine Sitzung zur Planung der Internationalen Hy­giene-Aus­stel­lung für 1908/09 statt. Die Teil­neh­mer der Sitzung Beutler, Busch­beck, Renk, Gärtner und Prof. Franz Hoffmann (1843-1917, Leipzig) bil­de­ten das am 19. Januar 1906 eingesetzte Komitee für die Internationale Hygiene-Ausstellung. Wenn auch Beutler zum Vorsitzenden gewählt wurde, so trug Lingner als Ge­schäftsführer die organisatorische Ver­antwortung. Dies geht auch aus einem Brief Beut­lers an den Staatsminister Posa­dows­ky aus dem Jahre 1905 hervor, in dem er betonte, “dass durch die Über­nah­me der eigentlichen Ausstellungsleitung durch Herrn Geheimrat K. Lingner die Sicherheit geboten wird, dass die innere Organisation und äußere Ge­stal­tung der Ausstellung in jeder Beziehung eigenartig und im hohem Grade anziehend werden wird.”. Auf der konstituierenden Sitzung des Ko­mi­­tees wurde die Ausstellung für 1909 vorgesehen, da 1907 schon ein Internationaler Hygiene Kongress in Berlin geplant war. In der Folgezeit kam es zu zähen Verhandlungen zwi­schen den Organisatoren der geplanten Aus­stel­lung und öffentlichen Äm­­tern. Vor allem das Säch­sische Finanzministerium bloc­kier­te die Ausstellungsvorbereitungen durch Be­hin­­derung der geplanten Lotterie und durch feh­len­de Aus­sagen des Ministeriums zu dessen finanzieller Mit­be­­tei­li­gung. Im Gegensatz dazu hatte Lingner nach eigenen An­ga­ben bereits “als einziger Pri­vat­mann eine viertel Million für das Unternehmen aufs Spiel gesetzt”.

Am 19. No­vember erklärte Lingner in einem Brief an Beutler sei­nen Rücktritt vom Ausstel­lungs­di­rek­torium und be­grün­dete dies mit “fehlender finanzieller Op­fer­wil­lig­keit”, einem fehlenden “Fond von Lust und Liebe zur Sa­che” sowie mit allgemeiner Unlust des Finanz­mi­ni­ste­riums der Ausstellung gegenüber. Für den Fall des totalen Schei­terns der Ausstellung bot Lingner der Stadt Dresden 100.000 Mark für einen “großen hy­gie­ni­schen Zweck” an.

Aufgrund der angeführten Schwierigkeiten be­schloss das aus dem Vorbereitungskomitee hervor­ge­gan­gene Direktorium für die Internationale Hy­giene-Ausstellung am 6. De­zem­ber 1906, die Aus­stellung auf 1910 zu verschieben. Au­ßerdem soll­­te ein neuer Finanzplan erstellt werden, von dessen Ergebnis Lingner seine weitere Mitarbeit als Vor­sit­zender des Ausstellungsdirektoriums abhängig mach­­­te. In langwierigen Verhandlungen konnten un­ter tatkräftiger Mitarbeit des dama­li­gen Ministers des In­nern, Graf Vitzthum von Eckstädt (1863-1936), alle Schwie­rigkeiten aus dem Weg geräumt und der Wi­der­­stand des Finanzministeriums überwunden werden.

1908 gründete Lingner, der nun weiter das Aus­stel­­lungs­di­rek­torium leitete, den Verein zur Ver­an­staltung der I. In­ternationalen Hygiene-Aus­­stellung 1911 und verein­bar­te vertraglich mit der Stadt Dresden “für den Fall eines ge­nü­gend hohen Über­­schusses der Einnahmen, diesen Überschuss zur Begründung ei­nes Volkshygienemuseums zu verwenden”. Als erster stellvertretender Vorsitzender des Vereins übernahm Prof. Friedrich Renk die Erarbeitung der wissenschaftlichen Konzeption und Ausgestaltung der Ausstellung. Die Stellung Renks als anerkannter Wissenschaftler auf dem Gebiet der Hygiene ermöglichte es, namhafte Wissenschaftler für die Gestaltung der Ausstellung zu gewinnen. So schreibt beispielsweise Rubner an Renk: ”Du bürgst uns mit Deinem Namen, wenn wir ausstellen, von Lingner wissen wir nichts.”

1908 verlegte Ling­­­ner sein Privatsekretariat in die Gro­ßenhainer Straße 9, richtete Büros und Werkstätten ein und leitete von hier aus die Ausstellungsvorbereitungen. Die Räume mietete er von der Firma Hermann Butter. Im gleichen Jahr begründete er hier das Pathoplastische Insti­tut zur Her­stellung von Moulagen und Modellen, ab 1910 stand es un­ter der Leitung des bekannten Ber­­liner Moulagisten Fritz Kol­­bow. In einer eigens für Dr. Friedrich Woithe (1878-1923) ein­­ge­rich­teten mechanischen Werkstatt ent­stan­den ein­­­zig­­ar­tige biologische Modelle und Apparate für die Hy­­gie­­­ne­aus­stel­lung. Woithe arbeitete vor seiner Tä­­tigkeit in Dres­den als bayerischer Militärarzt und war von 1906-1910 am Kai­ser­li­chen Gesundheitsamt in Berlin bakteriologisch tätig. Für die Lei­tung der Pho­tographischen Werkstatt konnte Lingner den be­­kann­ten Photographen Richard Fleischer gewinnen. Nachdem diese ersten Vorarbeiten abgeschlossen waren, konnte Lingner führende Wissenschaftler des Deutschen Reiches nach Dresden einladen. “Der 12.Febr.1909 kann als Geburtsstunde der Internationalen Hygiene-Ausstellung bezeichnet werden. An diesem Tage fand in Dresden eine große Tagung statt, an der sich u.a. an Wissenschaftlern eingefunden hatten: Robert Koch, Behring, Abel, Bergmann, Czerny, Ehrlich, von Esmarch, Bumm, Fischer, Flügge, Kaufmann, Löffler, Neisser, Neufeld, Selter, Schmorl, Uhlenhut, Wassermann, Würzburger u.a.m.”

Neben den Bemühungen Lingners, das Zustande­kom­men der Ausstellung seitens der Stadt, des Lan­des Sachsen und des Deut­schen Reiches abzusichern, galt es nun, die konkreten Aus­stel­lungs­inhalte zu konzi­pie­­ren und entsprechende Mitarbeiter zu ge­win­nen. Das Gesamtvorhaben der Ausstellung wurde nach inhaltlichen Schwer­­­­punkten in Gruppen untergliedert, wobei je­der Grup­­pe ein eigener Ausschuss angegliedert war. Be­­reits im März 1909 waren die Vorbereitungen für das Aus­stellungsprogramm und die Bildung der Aus­schüs­se nahezu abgeschlossen [85]. Lingner gelang es, auch mit Hilfe von Renk, nam­hafte Wis­senschaftler für die Ausschüsse zu gewin­nen. Für die historische Abteilung, die kul­tur­ge­schicht­lich und rein wis­sen­schaftlich be­deutendste Aus­­­stellungs­ab­tei­lung, konnte er den Direktor des Me­­dizinhistorischen In­stitutes Leipzig, Prof. Karl Sud­hoff (1853-1938), ver­pflich­ten. Nach Neubert brachte Lingner eine über­mensch­liche Geduld auf, “um mit dem sehr auf seine Stel­lung und Autorität bedachten Mann auszu­kom­men”.

Ausdrücklich unterstützte Robert Koch die Ausstellung, noch kurz vor seinem Tod besuchte er Lingner in Dresden. Als weitere namhafte Wissenschaftler konn­te Ling­­ner unter anderen den Bres­lauer Der­ma­to­logen Prof. Albert Neisser (1855-1916), den Dresd­ner Dermatologen Prof. Eugen Ga­lews­ky (1864-1935), den Jenenser Hygieniker Prof. Au­gust Gärtner (1848-1916?) und den Leipziger Ana­tom Prof. Werner Spal­te­holz (1861-1940) gewinnen. Lingner vereinbarte 1909 mit Spal­teholz den Auf­bau einer ana­tomischen Sammlung für die I. In­ter­na­tio­nale Hygiene-Aus­stel­lung 1911. Spalteholz war durch die Entwicklung eines Ver­fahrens zur Her­stel­lung durch­sichtiger anatomischer Prä­pa­ra­te bekannt ge­worden. Die Pa­tentrechte hatte Spalteholz der Fir­ma Natura docet in Naun­hof bei Leipzig verkauft, so musste Lingner in der Folgezeit ge­mein­sam mit Justizrat Pop­per um die Genehmigung zur Aus­stel­lung der Spal­­teholzpräparate kämp­­­fen. Lingner ge­lang es schließlich, die Präparate in der Ausstellung zu zei­gen und konnte ein Rückkaufangebot der Patent­rech­te (For­­derung: 40.000 Mark) ablehnen. Neben der Aus­­gestaltung der Hygie­ne­aus­stellung dachte Lingner be­reits 1909 an die Herstellung ei­ner “größeren Serie ana­tomischer Prä­­parate”, wofür er Spal­te­holz be­gei­stern konnte. Ling­ner erklärte sich bereit, sämt­­li­che Arbeitskräfte und Materialien zur Verfügung zu stel­len, wozu er durch die Gründung des Pa­tho­plasti­schen In­stitutes in der Lage war. Inwieweit Lingner da­­bei 1909 an eine kommerzielle Ver­wer­­tung bzw. den Aufbau eines Hy­gie­ne­mu­seums dachte, ist un­be­kannt. Bereits in Vorbereitung der Ausstellung 1911 “... waren Versuche unternommen worden, dieses Meisterwerk (den gläsernen Menschen,d.Verf.) zu schaffen. Zeiss und Schott und Gen., Jena, stellten Versuche an. Man konnte wohl die einzelnen Organe in Glas giessen und beleuchten, aber die Haut und das Knochengerüst damit zu verbinden, gelang nicht.

Am 6. Mai 1911 öffnete die I. Internationale Hy­­giene-Aus­­stellung in Dresden ihre Pforten. Das Aus­­stel­lungs­gelände hatte eine Ausstel­lungs­flä­che von 320.000 m² (da­­von 75.000 m² über­dacht) und um­fasste den Städtischen Aus­stellungs­pa­last, bei­de Tei­­le des Großen Gartens, die Güntz­wiesen und den Sport­platz an der Lennéstraße. Ent­lang der Her­ku­les-Al­lee be­fan­den sich die Pavillons der aus­län­di­schen Aus­steller, die im je­­weiligen Landesstil er­rich­tet wa­­ren (Bra­si­lien, China, Eng­land, Frankreich, Ita­lien, Ja­­pan, Österreich, Russ­land, Schweiz, Spa­nien, Un­­garn und die Stadt Amsterdam) [179]. Die Architekten Prof. William Lossow (1852-1927) und Prof. Max Hans Kühne (1874-1942) gewannen einen Wettbewerb zur bau­lichen Ausgestaltung der Ausstellung und wurden zu Ge­­­ne­ral­architekten er­nannt. Neben der zentralen Ausstellungshalle “Der Mensch” waren die anderen Abteilungen in 45 Hallen untergebracht.

Das Symbol der Ausstellung, das “Hy­­giene-Au­ge”, entwarf der Münchner Kunstmaler Prof. Franz von Stuck (1863-1928) nach den Vorstellungen Ling­ners. Die­ser konn­te dabei angeblich auf einen Traum zu­rückgreifen, in dem ihm ein Sternenhimmel mit Auge erschienen sei.

Die Aus­­stel­lung repräsentierte den damaligen Kennt­nisstand zur Hy­gie­ne im umfassenden Sinne. Die Schau wendete sich glei­cher­ma­ßen an den ein­fa­chen Bürger, den Hygieniker und den Kul­tur­wis­sen­schaftler. Gegliedert wurde die Ausstellung in sechs Ab­­tei­lungen, die wiederum in Gruppen unterteilt wa­ren. Zu den Abteilungen gehörten: die Wis­sen­schaft­li­che Ab­tei­lung, die Historische Abteilung, die Populäre Abteilung, die Sport­li­che Abteilung, die Statistik und die Industrieabteilung.

Der Mittelpunkt der gesamten Aus­stellung war zweifellos die po­pu­läre Ab­teilung mit dem Pavillon “Der Mensch”. Diese Ab­tei­lung stand un­ter der Leitung Lingners und wurde nach seinen Vor­stel­lungen realisiert. Diese Abteilung war in folgende Grup­­pen unterteilt:

- Der Mensch als Kunstwerk
- Genussmittel
- Ernährung
- Allgemeine Berufshy­giene
- Kleidung
- Volkskrankheiten
- Siedlung und Wohnen
- Körperpflege
- Bevölkerung

Die Schwerpunkte dieser Gruppen:

1. Die Verhältnisse, die den Menschen als Einzel­we­sen betref­fen und sollten belehren über:

 

a) den menschlichen Körper
b) die Schädigungen, die den menschlichen Körper be­drohen – diese wiederum gegliedert nach der Art des Einflusses: wie Beruf, Alter, Geschlecht, Klima, Rasse, sonstige äußere Verhältnisse usw.
c) gesundheitsfördernde Maßnahmen, Gesundheits-und Le­bens­­­­­regeln, Sport

2. Die Verhältnisse, die die Menschen als Ge­mein­schaft be­tref­fen, und zwar:

a) die gesundheitlichen Gefahren, die sich aus dem Zusam­men­leben der Menschen ergeben – diese wie­de­rum eingeteilt nach der Art der Einflüsse: Luft, Was­ser, Wohnung, Sied­lung, Schu­le, Verkehrsmittel, Epi­demien usw.
b) die behördlichen Maßnahmen zur Abwehr solcher Gefahren und zur Förderung der gesundheitlichen Wohl­fahrt der Be­völ­ke­­­­rung.

Von großer Bedeutung war auch die von Sudhoff kon­zi­pierte Hi­storische Abteilung, welche die Geschichte der Hygiene vom Al­tertum bis zur Gegenwart dar­stell­te.

Neben der Historischen Abteilung mit 17773 (!) Ausstellungsobjekten, fand vor allem in Fach­­krei­sen die Wissenschaftliche Abteilung großes In­teresse. Diese soll­­­­te “einen lückenlosen, systema­ti­schen Überblick über die Er­run­­genschaften der mo­der­nen Hygiene geben. Für diesen Zweck wurde das gan­ze Gebiet der Hygiene in 36 Gruppen und sieben Son­der­gruppen eingeteilt. Die Anordnung des Aus­stel­lungs­­ma­­­terials innerhalb dieser Gruppen nach der Ma­terie und nicht nach dem Aussteller war das Haupt­­prinzip bei der Organisation der Wis­sen­schaft­li­chen Abteilung, also ein gewisses Zu­rück­tre­ten der Person des Ausstellers hinter dem Objekt”.

Die I. Internationale Hygiene-Ausstellung 1911 wur­­de nicht zu­letzt durch neuartige Methoden der Wis­sens­­ver­mitt­lung zu ei­nem großen Erfolg. Leicht­ver­ständliche Bildtafeln, meister­haf­te natürliche Prä­pa­ra­te, wirklichkeitsgetreue Moulagen, wis­sen­schaft­lich einwandfreie anatomische Modelle sowie von den Be­­su­chern selbst zu bedienende mechanische Ap­pa­ra­te brach­ten ihnen die nicht immer leicht verständ­li­che Materie nahe.

Am 31. Oktober 1911 wurde die I. Internationale Hy­giene-Ausstellung in Dresden geschlossen. Etwa 5,5 Millionen Menschen be­suchten die Aus­stel­lung und erbrachten einen Rein­ge­­winn von über einer Mil­lion Reichsmark. Der im Rahmen der Ausstellung von Lingner ge­lei­stete Bei­trag zur Popularisierung hygienischen Ge­dan­ken­gutes sowie zur Gesundheitsaufklärung und -er­ziehung sollte als seine be­­deutendste Leistung im Be­reich der hygienischen Volks­be­leh­­rung gesehen werden. In Anerkennung seiner Verdienste bei der Gestal­tung und Durch­­führung der I. Internationalen Hy­gie­ne-Ausstellung ernannte die Stadt Dresden Lingner 1911 zum Ehrenbürger der Stadt. Der sächsische König verlieh ihm den Titel eines „Wirklichen Geheimen Rates“. Dieser entsprach einer Art Ministerrang ehrenhalber mit dem Titel “Ex­zel­lenz”, verbunden mit einem Vortrags –und Audientzrecht bei Hofe. Viele ausländische Staaten ehr­ten Ling­­ner mit ihren Großkreuzen. Die medizinische Fa­kul­tät der Uni­ver­si­tät Bern verlieh Lingner auf Vor­schlag von Prof. Kol­le die Eh­ren­doktorwürde. An­­läss­lich seiner Ehrenpro­mo­tion hielt Ling­ner am 14. De­­zem­ber 1912 vor der Medizinischen Fakultät der Uni­ver­sität Bern ei­nen Vortrag zum Thema “Der Mensch als Or­ga­ni­sa­tions­­­vor­bild”. Hierbei verglich er den Staat mit dem men­sch­­lichen Or­ga­nismus. Für Lingner stellte der Mensch die höchs­te Orga­ni­sa­tions­form überhaupt dar.

Der imponierende Reinertrag der Ausstellung war der Aus­gangs­punkt, das Projekt eines Hygiene­mu­se­ums in die Realität um­zusetzen. Lingner selbst hatte durch eigene finanzielle Auf­wen­dungen von etwa 400.000 Mark den Erfolg der I. Inter­na­tio­­nalen Hy­gie­ne-Ausstellung 1911 unterstützt. Noch während der Aus­stellung, am 15. August 1911, schloss Lingner mit Spal­­te­holz einen Vertrag über die Herstellung von “Spal­te­holz­prä­pa­raten” für ein Hygiene Museum ab. Im Dezember 1911 begründete Lingner eine “Cen­tralstelle für Hygiene”, deren Geschäfts­räu­me sich auf der Großenhainer Straße 9 befan­den. Da­mit erhielt die Zentralstelle alle Werkstätten, Bü­ros und das Pathoplastische Institut, die in Vorbe­rei­tung der I. Inter­na­tio­nalen Hygiene-Ausstellung hier ein­gerichtet wur­den. Die Zen­­tralstelle diente als “Überleitungsanstalt” für das zu grün­den­de Hygie­ne­mu­seum. Zu diesem Zweck über­nahm sie die Po­pu­lä­re Abteilung und die Historische Abteilung der Aus­stel­­lung und begann mit den Vorbereitungen zum Auf­­bau des Hy­gie­nemuseums. Darüber hinaus zählten die Her­stel­lung und der Ver­kauf von Ausstel­lungs­ob­jek­ten und Präparaten zu den Auf­ga­ben der Zen­tral­stel­le für Hygiene.

 


Internationale Hygiene-Ausstellung 1911